
Sie geben sich edel oder verspielt, futuristisch oder plüschig, avantgardistisch oder im Vintagelook: wer heute Einkaufen geht, betritt mit jedem Laden eine neue Welt. Hier liegen Waren auf groben Holzpaletten, dort hängen sie im ausrangierten Überseekoffer; in einem Shop liegen Schuhkartons im geöffneten Kofferraum eines Kleinlasters, im nächsten dient ein Turm aus Sektgläsern als Verkaufsfläche.
Da gibt es Geschäfte, die mit wild gemusterten Tapeten um Aufmerksamkeit buhlen, dort gibt man sich distanziert, glatt und schnörkellos. Während in einem Shop ein Marmor- Kamin und Ledersessel zu einer Zeitreise ins 19. Jahrhundert einladen, geht’s im nächsten mit metallisch- gläsernem Spacedesign geradewegs in die Zukunft. Je ausgefallener die Gestaltung, so das Kalkül der Ladenbesitzer, desto mehr Kunden werden angezogen. Und wer es schafft, deren sogenannte „Verweildauer“ so lange wie möglich auszudehnen, wird auch die höchsten Umsätze tätigen. In einer Zeit, in der viele Kunden beim Shopping vor allem Unterhaltung, Überraschung und Begeisterung suchen, spielt die Innenarchitektur eine immer größere Rolle. Da heute praktisch jeder im Netz einkaufen kann, muss reales Shopping dem virtuellen überlegen sein. Es muss alle Sinne des Käufers ansprechen und positive Gefühle wecken. So versuchen Einrichtungsexperten, ein Freizeit- und Wohlfühlambiente zu schaffen, das die potenziellen Kunden in Kauflaune versetzt.
Ein Patentrezept gibt’s dafür allerdings nicht; im Kampf um die Kundengunst führen viele Wege nach Rom. Zwar gehen Experten davon aus, dass nach puristischen Jahren das Shop-Design insgesamt wieder üppiger ausfallen darf. Und Trends aus der Bekleidungs- und Innendesignbranche, wie Animalprints1, Asialook2, bunte Tapeten und Ornamente, schwappen auch in den Ladenbau herüber. Doch wirkliche ästhetische Gesetze oder echte Trends à la „zur Zeit gehen nur kühles Glas und nackter Stahl“ oder „im Frühling machen alle auf Safarilook“ sucht man in diesem Bereich vergeblich.
Schließlich können Geschäfte nicht jede Saison komplett neu eingerichtet werden. Vielmehr unterliegen sie Renovierungszyklen, die je nach Produkt zwischen sieben und zehn Jahre betragen. Deshalb versuchen Storedesigner den Spagat zwischen ausgefallenem und trotzdem zeitlosem Design hinzukriegen. „Schließlich sollen die Geschäfte lang genug überdauern, damit die Kunden nicht nach einigen Jahren sagen: das ist Schnee von gestern“ erklärt Jeffrey Hutchison, der Flagshipstores von Donna Karan bis Polo Ralph Lauren einrichtet, die Befürchtungen der Ladenbesitzer. So ist es wichtig, die Einrichtung als modulares System zu entwerfen, das schnell umgewandelt werden kann und sich so an neue Produkte und Kollektionen anpasst.
Einen weiteren Grund, warum es keine echten Trends im Shopdesign gibt, erklärt Claus Schmidt vom Ladenbauunternehmen Assmann: „Trends lösen sich in Konzepte auf“. Jedes Einrichtungskonzept braucht heute einen neuen Ansatz, der dem Geschäft Einzigartigkeit verspricht. Gelungenes Store Design besticht demnach durch Individualität, Authentizität und Persönlichkeit.
Gelungenes Store Design besticht durch Individualität, Authentizität und Persönlichkeit.
Da die Produkte immer austauschbarer werden, setzen Marketingstrategen sie in einen größeren emotionalen Kontext: sie erhalten eine unverwechselbare „Aura“, die sogenannte Markenbotschaft. Diese wird primär durch Werbung kommuniziert. Doch auch das Shopdesign ist ein wichtiges Mittel, um die Markenidentität quasi als dreidimensionales Raumerlebnis vor Ort zu inszenieren. Der Kunde soll so den Geist und die Einzigartigkeit der Marke mit allen Sinnen fühlen und erleben können. Das kann zum Beispiel durch die Auswahl bestimmter Materialien erfolgen. So vermittelt unbehandeltes Holz einen rustikalen Touch, Seide oder Leinen dagegen eine raue Eleganz. Je glaubwürdiger eine Marke am Point of Sale abgebildet ist, desto nachhaltiger wirkt sie auf Kunden, erklärt Innenarchitekt Karl Schwitzke, der u. a. Läden von Escada und Esprit gestaltet. Sein Credo: „Ein guter Store ist wie eine spannend erzählte Story.“ Denn wie Filmregisseure kreieren Shopdesigner Räume, durch die sich die Kunden nach einer Art unsichtbarem Storybord bewegen sollen. Diese Räume sind niemals statisch, da die Kunden immer wieder ihre Perspektive wechseln und einem Weg mit unterschiedlichen Funktionen wie Auswählen, Vergleichen, Anprobieren und Bezahlen folgen. Die vom Designer kreierte Story kann mit echten Geschichten verwoben und so noch emotionaler werden. Beispiel Lacoste: im Flagshipstore des französischen Sportlabels könnte die Karriere des Tennisspielers René Lacoste und die Geschichte des „crocodile“ dargestellt werden. So wird sportliche Kompetenz vermittelt und gleichzeitig eine fast persönliche Beziehung zum Kunden aufbaut.

Dabei wird es gerade bei international agierenden Marken immer wichtiger, den Bezug zum jeweiligen Markt im Auge zu behalten. Wenn weltweit alle Shops eines Labels gleich aussehen, kommt für den kosmopolitischen Kunden schnell Langeweile auf. Nach der Devise „think global, work local“ kann Lokalkolorit deshalb das Tüpfelchen auf dem „i“ sein. Gelungene Designkonzepte integrieren einheimische Bezüge und architektonische Gegebenheiten. So muss der Armani-Shop am vornehmen Neuen Wall in Hamburg zwangsläufig anders aussehen als am Rodeo Drive in Los Angeles.
Unterstützt werden die Designer bei ihrer
Arbeit durch technische Innovationen wie
neue Materialschöpfungen. So sind Polymere
- also alle Arten von Kunststoff - weiter auf dem Vormarsch, pur oder als
schützende Oberfläche von Metallen und
Hölzern. Ihre Vorteile liegen auf der Hand,
erklärt der New Yorker Materialexperte
Andrew Dent. „Plastik gehört immer noch
zu den billigsten, flexibelsten und langlebigsten
Materialien. Es kann in jedwede
Form gepresst werden, bunt oder durchsichtig
sein und sogar andere Materialien
wie Holz, Metall oder Glas imitieren.“ Im
Storedesign ergeben sich so immer neue
Gestaltungsmöglichkeiten.
Auch Aluminium, Stahl und Messing bleiben
nach Einschätzung von Fachleuten die
meistgenutzten Metalle, allerdings ändere
sich die Art ihrer Verarbeitung, um auch
hier neue Effekte zu erzielen. Kupfer und
Bronze werden sich dagegen nicht durchsetzen.
„Sie sind zu teuer und setzen relativ
schnell Patina an“, so Dent.
„Licht wird somit integraler Bestandteil der Architektur“
Trend wie einfaches Leder, Hölzer und Stoffe, Rinde und Kork. Auch Bambus wird derzeit besonders gern verwendet, gilt es doch geradezu als Inbegriff für Nachhaltigkeit. Und Nachhaltigkeit ist nach Einschätzung von Trendforschern wie Marc Völler von der Hamburger Agentur Neogarde ein Megatrend, an dem in Zukunft kein Unternehmen vorbeikommt. Schließlich spielen bei heutigen Öko-Produkten nicht nur die Unbedenklichkeit der Inhaltsstoffe, sondern auch die Herkunft der Waren, der faire Handel mit den Erzeugern, die Verringerung von Abfällen bei der Produktion und ein möglichst energiesparender Transport eine wichtige Rolle. Das sind Themen, die via Shop-Design vermittelt werden können. Nachhaltigkeit spielt auch aus wirtschaftlichen Gründen eine wichtige Rolle beim Shopdesign. So kann der Einsatz von modernen Beleuchtungssystemen den Energieverbrauch eines Ladens spürbar senken. Effiziente Leuchtmittel wie LED und Halogen verbrauchen weniger Strom und setzen zudem weniger Wärme frei, was wiederum die Kosten für die Kühlung des Ladens deutlich senkt. „Angesichts spürbar gestiegener Energiekosten haben Projekte zur Energieoptimierung höchste Priorität“ stellt das EHI Retail Institut in Köln fest.

Überhaupt gehört intelligente Lichtplanung im modernen Shopdesign zu den wichtigsten Gestaltungsmitteln. Denn Licht kann einen Raum komplett verändern: es kann seine Begrenzungen betonen, ihn nach oben öffnen, enger oder weiter erscheinen lassen. Neben hell oder dunkel kann Licht auch diffus oder brillant sein, direkt oder indirekt, statisch oder dynamisch, warm oder kalt, elegant oder stimmungsvoll, sachlich oder dramatisch. Dafür muss die Grundbeleuchtung durch gezielte Lichtakzente und -effekte ergänzt werden. Die „richtige“ Beleuchtung kann Kunden ins Geschäft hineinziehen und zu bestimmen Orten führen, Auslagen betonen und „ins rechte Licht setzen“, den potenziellen Käufer überraschen und seine Stimmung manipulieren – und das sogar je nach Tages- und Jahreszeit variierend.
Schließlich erwartet der Mensch abhängig von seiner inneren biologischen Uhr tagsüber Sonnenlicht, also kühle Beleuchtung, abends bei Dunkelheit dagegen eher warme Töne. Intelligente Beleuchtungssysteme ändern deshalb die Lichtstimmung je nach Tageszeit oder lassen sich per Knopfruck flexibel den Bedürfnissen der Kunden anpassen. So kann der Ladenbesitzer auf die Stimmung seiner Zielgruppe eingehen und immer die richtige Atmosphäre schaffen, um die Kaufentscheidung seiner Kunden zu begünstigen. Auch die unvorteilhafte Beleuchtung in Umkleidekabinen wird mit modernen Lichtsystemen endlich Schnee von gestern. Im Idealfall kann der Kunde selber den Schalter betätigen und sein neues Outfit in verschiedenen Lichtstimmungen bewundern, also das Tennisdress bei künstlichem Sonnenschein und die Abendrobe im Schummerlicht. Moderne Leuchtdioden können dafür sogar in Möbel, Böden, Wände und alle Arten von Material integriert werden. Licht wird somit integraler Bestandteil der Architektur.
Moderne Beleuchtungssysteme, neue Materialien und individuelle Ansätze, zukunftsweisend und trotzdem zeitlos, sinnlich, überraschend und nachhaltig: modernes Shopdesign ist heute mehr als das Aufstellen von Regalen, die Innenarchitektur kann sogar den wirtschaftlichen Erfolg eines Geschäfts entscheidend beeinflussen. Im Mittelpunkt steht das für den Kunden maßgeschneiderte und unverwechselbare Konzept. Storedesigner kreieren begehbare Markenwelten, die potenzielle Kunden anlocken und zum Kauf verführen sollen. Zeitgemäße Materialien, intelligente Technik und Lichtsysteme sind dabei Mittel zum Zweck, die ein sinnliches Shopping-Erlebnis ermöglichen, allgegenwärtig, aber im Falle der Technik bestenfalls unsichtbar. Schließlich, so Brand-Designer Alfred Leitl, ist „das Geschäft eine sich ständig wandelnde Bühne - und die Ware ist Star.“
1 z.B. Tigerdrucke, Kuhfelle
2 z.B. asiatische Zeichen, schwarz-weiß-rote Farbgebung und Materialien wie Bambus