
Frau Raeder, wie ist Ihre Herangehensweise bei einem neuen Projekt?
Zunächst einmal muss zusammen mit dem Bauherrn die Zielgruppe des jeweiligen Geschäftes und das Produkt an sich unter die Lupe genommen werden. So entsteht die Vision einer Atmosphäre, die geschaffen werden muss, um den Kunden in den Shop einzuladen.
Es werden die ersten Ideen zu Formensprache, Material- und Farbgestaltung abgeleitet sowie ein Zeit- und Kostenplan für die Realisierung aufgestellt.
Gibt es bestimmte Tricks, die sie anwenden?
Es sollte immer eine Idee, eine Geschichte Basis des Projekts sein. Ich versuche nicht durch Anhäufung beliebiger Design-Trends einen Raum zu gestalten, sondern leite die Gesamtidee von einem zentralen Thema ab, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Fläche zieht. So kann man z.B. in einem Einrichtungsladen die Stimmung des „Cocoonings“, also des Zurückziehens in das häusliche Privatleben, verstärken. Hierfür werden ineinander verschachtelte Bereiche geschaffen, die durch eine entsprechende Beleuchtung und natürlich Materialien Geborgenheit versprechen.
Was sind für Sie die wichtigsten Gestaltungselemente im Shopdesign?
Innerhalb eines vorgegebenen Grundrisses wird eine Architektur entwickelt, die den Kunden durch den Raum leitet. Dies beinhaltet nicht nur Farben und Materialien, sondern vielmehr eine Abwicklung einzelner Raumsituationen.
Dem Kunden ein Erlebnis zu ermöglichen, ihn in eine andere Welt eintauchen zu lassen, steht im Vordergrund. Hierfür ist es notwendig mit Materialien und Beleuchtung zu spielen.
Wie wichtig ist die Beleuchtung in Ihren Konzeptionen?
Die Beleuchtung spielt eine essenzielle Rolle. Mit Licht werden wichtige Akzente gesetzt. Manche Produkte werden so inszeniert, dass durch Licht ihre Wertigkeit betont wird. Mit Licht wird dem Raum erst seine Dreidimensionalität gegeben. Davon abgesehen, kann der Blick des Kunden mit Lichtsteuerung aktiv gelenkt werden. Ein Trend geht auch in Richtung Verknüpfung von Beleuchtung und Belüftung in ein System. Sollte in einem Geschäft einmal, wenn auch nur partiell, das Licht ausfallen, rennen die Kunden im wahrsten Sinne des Wortes davon – was im Übrigen auch für zu hohe und zu niedrige Temperaturen gilt.
Gibt es bestimmte Materialien, die sie bevorzugen?
Ich benutze häufig natürliche Materialien wie Holz, Stein, Stoffe. Diese Materialien entsprechen dem heutigen Wunsch nach Nachhaltigkeit, eine Wohlfühl-Atmosphäre wird produziert. Ein ökologischer Lebensstil, der ein Gleichgewicht von genussorientiertem Konsum und Verantwortung gegenüber der Umwelt beinhaltet, wird inzwischen von vielen Kunden praktiziert.
Woher holen Sie sich die Inspiration für Ihre Konzeptionen?
Für mich hat die Architektur den größten Einfluss. Shopdesign ist Architektur im Kleinformat und kann ebenso zur positiven Beeinflussung menschlicher Stimmungen beitragen. Der Unterschied zur Konzeptfindung in der ‚regulären‘ Architektur besteht darin, dass der Ort, der ‚genius loci‘, beim Shop-Design meist eine untergeordnete Rolle spielt. Diese Inspirationsquelle wird hier ersetzt durch den Charakter eines Produktes, den es zu unterstreichen gilt. Aber auch Kunst, Graphik-Design und Mode - man nehme nur mal das aktuelle Beispiel Vintage - sind oft Grundlage für Shopkonzeptionen.
Welche Rolle spielt die Branche des einzurichtenden Ladens für das Design, wo hat man die größte gestalterische Freiheit?
Manche Branchen verlangen nach spezieller Inszenierung und Ausleuchtung der Ware wie z. B. Juweliere oder Lebensmittelhändler.
Einige Warenfelder benötigen auch ein perfekt durchdachtes Ordnungs- und Orientierungssystem, das wiederum der Kreativität gewisse Grenzen setzt.
Die größte gestalterische Freiheit ist dort gegeben, wo das Konzept bereits in der Ausbildung der Fassade Gestalt annehmen kann und ein individueller, auf den Ort und das Produkt maßgeschneiderter Laden gewünscht wird. Dies findet man oft in Luxus-Segmenten.
Was sind die wichtigsten Neuerungen der letzten Jahre? Welche Trends gibt es?
Um dem immer stärker werdenden Online-Shopping Paroli bieten zu können, müssen besonders jene Faktoren gefördert werden, die nur im ‚realen‘ Einkaufsprozess vorhanden sind. Dies sind individuelle Beratung, neuartige Dienstleistungen und kommunikative Zonen in den Verkaufsbereichen. Alleine kann der Kunde auch von zu Hause aus einkaufen, soziale Gesichtspunkte werden besonders in Zukunft das Fundament für die Stärke des Einzelhandels sein.
Auch die Inszenierung des Produkts - mit Hilfe von Events und speziellen interaktiven Multimediamöbeln zum An- oder Ausprobieren der Ware - wird eine große Rolle spielen. Des Weiteren gewinnt die Umnutzung und Wiederverwertung von ‚gebrauchten‘ Ladenbausystemen an Bedeutung.
Gibt es nationale Unterschiede im Shopdesign?
Ausgefallene Entwürfe sind weltweit zu finden. Besonders die Metropolen mit einer vielfältigen Design-Szene wie New York, Tokio, London, Amsterdam, in denen progressive Tendenzen direkt spürbar sind, sind Ursprung der spannendsten Shop-Konzeptionen. Aber auch das ‚deutsche Shopdesign‘ schätze ich im internationalen Vergleich hoch ein, da bei uns der Wunsch nach Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Wertigkeit weit verbreitet ist.
Frau Raeder, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: Viola Raeder
Die 33jährige Architektin hat sich u. a.
auf Ladenbau spezialisiert und arbeitet seit 2002 europaweit. Im Auftrag der Gruschwitz GmbH in München hat sie in den letzten Jahren Geschäfte eines weltbekannten Modeunternehmens geplant und umgesetzt.