
„Die besondere Herausforderung besteht deshalb darin, städtebauliche, funktionale und ästhetische Konzepte zu entwerfen, die sich auf die spezifischen Bedingungen eines Ortes einlassen“
Seit die ersten Menschen Häuser bauten, lag jedem Gebäude ein spezifischer Entwurfsgedanke des Erbauers zugrunde. Ideen, die dem Stil der Zeit entsprachen und sich deshalb von Epoche zu Epoche wandelten. So folgte die Architektur bis Ende des 19. Jahrhunderts noch klaren Regeln, bei denen Schönheit und Stil im Vordergrund standen. Dies galt auch für die Handelsarchitektur. Demnach waren die ersten Kaufhäuser mit neoklassizistischen Elementen verziert. Mit dem Zeitgeist änderte sich auch der Anspruch an die Architektur. Nach dem Grundsatz „form follows function“, geprägt vom Bauhausarchitekten Le Corbusier, trat Anfang des 20. Jahrhunderts eine rein pragmatische Geisteshaltung in den Vordergrund. Demnach entstanden in den 30er bis 50er-Jahren Kaufhäuser mit schlichten Bauhausfassaden. Auch die ersten Shoppingcenter auf der grünen Wiese glichen überdimensionalen Betonklötzen mit rein funktionalem Charakter. In den 70ern kamen zudem Warenhäuser mit anonymen „Systemfassaden“ über die deutschen Einkaufsstraßen. Dieser schnörkellose Einheitslook von Architekten wie Eugen Eiermann (bekannt durch den Neubau der Berliner Gedächtniskirche) verbot jeglichen architektonischen Bezug zum jeweiligen Standort. Auch als die ersten Shoppingcenter in den 80er Jahren in deutschen Innenstädten Einzug hielten, wirkten diese wie zufällig gelandete Raumschiffe, überdimensioniert und in krassem Gegensatz zum gewachsenen Stadtbild, weil Architekten und Stadtplaner versäumt hatten, Größe und Stil der Handelshäuser der Umgebung anzupassen.
Heute hat man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Seit es keinen einheitlichen architektonischen Baustil mehr gibt, bemühen sich Architekten, Bauherren und Stadtplaner um eine Verschönerung und Harmonisierung der Innenstädte. „Bausünden“ aus der Nachkriegszeit werden behutsam rückgebaut und historische Fassaden rekonstruiert; Altbauten unterliegen oft dem Denkmalschutz und auch für Neubauten gelten strikte Auflagen. Ziel war und ist die Renaissance der Innenstädte als lebendige gesellschaftliche, kulturelle und ökonomische Mittelpunkte.
Neben Fußgängerzonen sind Einkaufszentren heute integraler Bestandteil in deutschen Stadtkernen. Ein Trend, der unvermindert anhält; so sollen nach Schätzungen des EHI-Retail Instituts rund 95 Prozent der derzeit geplanten Center-Neubauten in Innenstädten und Stadtteilzentren liegen. Sie alle folgen in ihrem Inneren einer funktionalen Gebäude-Typologie, verfügen also meist über eine Ladenstraße mit zwei oder drei Verkaufsebenen. Doch von außen muss heute jedes Gebäude individuell auf den Standort und die architektonischen Gegebenheiten der jeweiligen Stadt zugeschnitten werden. „Die besondere Herausforderung besteht deshalb darin, städtebauliche, funktionale und ästhetische Konzepte zu entwerfen, die sich auf die spezifischen Bedingungen eines Ortes einlassen“, erklärt der auf Einkaufscenter spezialisierte Architekt Andreas Fuchs.
So müssen die Planer zum Beispiel bestehende Wegeverbindungen aufnehmen, vorhandene Plätze integrieren oder sogar neue Plätze entstehen lassen. Zudem versuchen die Architekten in den Altstadtzentren immer wieder den Spagat zwischen Tradition und Moderne, indem sie im Kontext mit den alten Stadtbildern die architektonischen Grundelemente modern interpretieren. So sollen sich beispielsweise Vorhangfassaden aus Glas und Stein harmonisch in ein historisch gewachsenes Stadtbild einfügen. Manchmal werden sogar ganze Fassaden originalgetreu rekonstruiert wie beim Bau der City Arkaden in Klagenfurt. Hier konnten Teile einer historischen Straßenfront wiederaufgebaut werden, inklusive des Originalbalkons mit schmiedeeisernem Geländer. Auch beim Neubau der Stadt-Galerie in Hameln musste der kleinteiligen Altstadt mit ihren windschiefen Fachwerkhäusern Rechnung getragen werden. Ein modernes Riesencenter hätte das einzigartige Stadtensemble zerstört. Um die jahrhundertealte Weser-Renaissance zu erhalten, wurde deshalb am Pferdemarkt im Herzen der Altstadt die denkmalgeschützte Fassade des ehemaligen Kreishauses erhalten und in die Stadt-Galerie integriert. So entstand ein modernes Center, das innen den Flächenanforderungen des Einzelhandels und den Erwartungen der Kunden entspricht und trotzdem von außen die strengen Auflagen des Denkmalschutzes erfüllt.
Während viele Einkaufszentren also behutsam in bestehende Stadtstrukturen integriert werden, sollen andere Center ganz bewusst die bestehende Stadtteilentwicklung bereichern oder das Stadtbild ergänzen, indem zum Beispiel durch ihren Bau geographische Gegebenheiten betont werden. So kann ein Einkaufszentrum an einem Flusslauf die Menschenströme dorthin lenken und so einen neuen geographischen Anziehungspunkt für die Stadt darstellen. Neben der konsumtiven erfüllt das Center dann auch eine städtebauliche Funktion.
Zudem können Orte, die über wenig Highlights verfügen, durch ein spektakuläres Einkaufszentrum enorm bereichert werden. Man nennt das „Bilbao-Effekt“, nach der baskischen Stadt, die durch das aufsehenerregende Guggenheim-Museum des Architekten Frank O. Gehry weltberühmt wurde. Denn während in früheren Zeiten vor allem Sakral- und Herrschaftsbauten eine große symbolische Bedeutung zukam, also Schlösser und Kirchen dem jeweiligen Ort ein Gesicht gaben, sind es in der jüngeren Vergangenheit zunehmend Kulturgebäude, Verkehrsbauten (wie Flughäfen oder Bahnhöfe), Sportstädten und eben Handelshäuser, die durch ihre außergewöhnliche Form Kultstatus erlangen. Hier wird die Architektur zum Markenzeichen, zum „Brand“. Ein Effekt der Größe, dem sich niemand entziehen könne, wie der Medienwissenschaftler und Philosoph Norbert Bolz feststellt. „Offenbar gibt es ein Unbehagen am Funktionalismus; man sucht wieder Substanz, Symbol, Sinn und Identität.“ So schafft die monumentale Architektur Symbolkraft, die wiederum auf die Stadt abfärbt.
„Für den Besucher schaffen wir auf diese Weise einen emotionalen Bezug, eine Einzigartigkeit“
Andere Einkaufszentren unterliegen einem bestimmten Motto, das sich architektonisch und inhaltlich durch das gesamte Konzept zieht. Sogenannte Themenmalls sind international ein wichtiger Trend, wie beispielsweise die Galeria Baltycka in der polnischen Hafenstadt Danzig. Hier dreht sich, wie der Name schon sagt, alles um die Ostsee. Die Deckenfenster erinnern an Segel, die dem Wasser zugewandte Seite ist blau, die dem Land zugewandte Seite erdig-braun gehalten und im Innendesign findet man Wasser, Strand, Dünen und Wald wieder. Zudem wurde in den Bodenbelag eine Karte der Ostseeregion eingearbeitet. „Für den Besucher schaffen wir auf diese Weise einen emotionalen Bezug, eine Einzigartigkeit“, erklärt die verantwortliche Architektin Renate Müller. Die Kunden könnten sich so besser mit dem Gebäude und der Architektur identifizieren. Und für einheimische Besucher wie für Touristen entsteht unweigerlich ein maritimes Urlaubsfeeling, das die Kauflaune hebt.
Für den Bau von Handelshäusern gibt es also unterschiedlichste Herangehensweisen. Je nach Standort bestimmen stilistische Vorgaben oder funktionale Ansprüche die Konzeption des Gebäudes. Vom perfekt ins historische Stadtbild integrierten Center über die Themenmall bis zum identitätsstiftenden Monumentalbau ist heute alles möglich, und so ist jedes neue Center eine spannende Herausforderung für Architekten, Bauherren und Stadtplaner.

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